Geschichten aus dem Altbirkle – Teil 6

 

Erinnerungen von Altbirklehoferin Renate von Falkenhausen an den Altbirklehof

 

Zu welcher Zeit waren Sie Schülerin am Birklehof?

Von 1939 bis 1943, im Alter von 14 bis 17 Jahren.

 

Wo lebte Ihre Familie?

Meine Eltern waren geschieden. Mein Vater lebte in Heidelberg, meine Mutter in Freiburg.

 

Was veranlasste Sie, auf dieses Internat im Hochschwarzwald zu gehen?

Mich hat nichts veranlasst, sondern meine Eltern, die in good terms miteinander verbunden waren, beschlossen gemeinsam, mich auf den Birklehof zu schicken, auf Rat des Direktors vom Freiburger Friedrich-Gymnasium Brühler, der ein Kriegskamerad meines Vaters aus dem 1. Weltkrieg gewesen war. Ich besuchte damals die Quarta auf dem Friedrich-Gymnasium in Freiburg.

 

Was verbinden Sie persönlich mit dem Gebäude des alten Birklehofs? Welche Atmosphäre ging für Sie von dem Gebäude aus?

Da habe ich ganz sachliche und punktuelle Erinnerungen: Die „großen“ Mädchen (im Gegensatz zu den „Kleinen“ im „Hirschen“) hatten im Altbirkle ihre Zimmer – zu viert, zu dritt und in der letzten Klasse gab es ein (?) Zweierzimmer. Mit wem man da „zusammengesteckt“ wurde, hing von der Mentorin bzw. von der Hauserwachsenen ab. Man konnte auch am Trimesterende Wünsche äußern.

 

Wenn Sie gedanklich das damalige Gebäude betreten und uns mitnehmen auf eine Besichtigungstour von der Eingangstür zu Ihrem Zimmer, was sehen Sie auf dem Weg?

Die dunkle, etwas knarrende Holztreppe ‑ sonst gab es da, in meiner Erinnerung, nichts zu sehen.

 

Wie sah Ihre Zimmereinrichtung aus?

Da standen zwei oder drei Klappbetten und ein kleiner Tisch unterm Fenster – karg, aber keineswegs kalt. Der Bilderschmuck bestand weitgehend aus Kunstpostkarten und Fotos, die wir an die Wand hinter das Bett gepinnt hatten und die man nur sehen konnte, wenn dieses heruntergeklappt war.

 

Wie kann man sich einen typischen Tagesablauf in und um den Altbirklehof zu Ihrer Schulzeit vorstellen?

Im „typischen Tagesablauf“ spielte der Altbirkle nur eine geringe Rolle. Unterricht und Mahlzeiten fanden „oben“, das heißt im Haupthaus und Esssaal statt. Wir Mädchen mussten zum Umziehen – vor und nach den Sportstunden – immer rauf- bzw. runterlaufen.

 

Welche Teile des Lebens ihrer Schulzeit am Birklehof spielten sich in und um das Gebäude des Altbirklehofs ab?

Eben die alltäglichen, das heißt man wohnte, schlief, wusch sich zusammen in relativ engem Raum, und das bedeutete, dass man dabei auch diskutierte (z. B. beim Duschen). Der Waschraum war im Parterre, hinter der Holztreppe, gegenüber der Haus- und Eingangstüre.

 

Die alte Stube soll in Zukunft für kulturelle Veranstaltungen und zur Brauchtumspflege genutzt werden. Aus verschiedenen Berichten ist bekannt, dass dort früher Singstunden abgehalten wurden. Können Sie uns einen Einblick geben und was verbinden Sie sonst noch mit der Stube?

In der Bauernstube des Altbirkle fand jeden Samstag der „Volksliederabend“ unter der Leitung von Schulleiter Wilhelm Kuchenmüller statt. Diese Abende sind für mich die entschieden positive, die wichtigste Erinnerung an dieses Haus. Kuchenmüller, der Hitler-Verehrer, diese absolut gespaltene Persönlichkeit in seiner Haltung zum „Dritten Reich“ und zu „seinem Führer“, hatte ein untrügliches Sprachgefühl, und nicht nur genaue Kenntnis der deutschen, sondern auch der klassischen Literatur. Noch heute kauft man bei Reclam die Sophokleische „Antigone“ in Kuchenmüllers Übersetzung. Und er hatte Sinn und Sensibilität für Lyrik, das heißt auch für die alten, so schönen deutschen Volkslieder. Nie sangen wir die fürchterlichen Nazi-Kreationen wie zum Beispiel „Hohe Nacht der klaren Sterne“. Die Volkslieder-Abende besuchte man freiwillig.Außerdem stand in der Bauernstube ein Klavier, das immer – zusammen mit dem Flügel im Esssaal – von einem Klavierstimmer aus Freiburg gewartet wurde, und auf dem meine Klassenkameradin und Freundin Netti Lynar, die später wegen heimlichen Rauchens aus der Schule flog, sehr gekonnt Jazz (auch verboten) improvisierte.

Übrigens: Wenn ich lese, dass die Bauernstube in Zukunft auch zur Brauchtumspflege genutzt werden soll, dann weckt dies bei mir unangenehme Gefühle. „Brauchtumspflege“ ist für mich immer noch Nazi-Jargon.

 

Auch der Bauerngarten soll schulisch genutzt werden, er wurde dazu neu angelegt. War der Garten hinter dem Altbirkle zu Ihrer Zeit Teil des Internats und des Schullebens? Wenn ja, wie wurde er durch SchülerInnen genutzt?

Der Garten um das Haus spielte keine größere Rolle – den versorgte der freundliche Herr Stetefeld. Eine Rolle für uns spielten die Feuerleiter an der Ostseite des Hauses und die breiten, begehbaren Bretter unter den Fenstern (angebracht für einen eventuellen Brand, als Schutz). Das Verbot, beide zu benutzen, wurde selbstverständlich nie eingehalten.

 

Die Fragen wurden Renate von Falkenhausen gestellt im Rahmen der Vorbereitungen zum Film über die Geschichte des Altbirkle anlässlich dessen Wiedereröffnung im September 2020.